Kulturvoller Mensch

Zum Tod von Samuel Mitja Rapoport

  • Karlen Vesper
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Mein Name ist Mitja Rapoport. Der Name wird nicht allen geläufig sein.« So stellte er sich vor einem Jahr auf einer Konferenz vor. Irrte oder witzelte er? Sein Name war vielen geläufig, nicht nur in der DDR. Die Teilnehmer bedachten seine Worte denn auch mit einem Lächeln. »Ich bin von Beruf Biochemiker, medizinischer Biochemiker, und habe eine langjährige Lehrerfahrung hinter mir. Ich bin über 90 Jahre alt. Das ist schon ein Segen, wenn man von sich sagen kann, dass man einigermaßen beieinander ist, wie man so sagt.« Und wieder hatte er die Lacher auf seiner Seite. »The great old man« der scientific community ist verstummt. In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch ist er verstorben. Die Nachricht wird von Mund zu Mund und per e-mail um den Globus gehen, in Wien und Cincinnati, in Petersburg und Hongkong Betroffenheit auslösen. Ein »großer Verlust für die wissenschaftliche Welt«, so Klaus Fuchs-Kittowski gestern zu ND. »Heute werden Schüler weltweit trauern, auch ich um einen liebevollen, väterlichen Freund und Lehrer«. Geboren am 27. November 1912 in Woloczysk (Ukraine) als Sohn eines Kaufmanns, aufgewachsen in Odessa und Wien, hatte Mitja Rapoport vor deutschen Antisemiten über den »großen Teich« fliehen müssen, fand 1938 in den USA eine neue Heimat (und seine Liebe, die Kinderärztin Ingeborg), forschte zum Wasser- und Elektrolythaushalt des menschlichen Körpers, über rote Blutzellen und Stoffwechsel. Er hat eine neue Konservierungsmethode für den kostbaren »roten Saft« entwickelt, die zigtausenden GIs im Zweiten Weltkrieg das Leben rettete. Ein von ihm gemeinsam mit Jane Luebering entdeckter Schritt im Energiestoffwechsel trägt seinen Namen. Doch ungeachtet solcher Leistungen war er in den USA bald nicht mehr wohl gelitten, geriet ins Visier der Jäger McCarthys, die überall »unamerican activities« witterten. Mitja Rapoport war Kommunist, schon als Student in Wien der KPÖ beigetreten und hat seine Überzeugungen nie verhehlt. Gleichwohl betonte er immer - etwa protestierend zum Akademie-Ausschluss von Robert Havemann -, dass politische Positionen für die Mitgliedschaft in einer wissenschaftlichen Institution irrelevant sind. »Ich halte am Traum eines Sozialismus fest«, bekannte er, obwohl ihn der real existierende enttäuscht hatte. 1950 war er einem Ruf nach Ostberlin gefolgt und hat das Institut für Biochemie an der Humboldt-Universität aufgebaut. Größer als die Enttäuschung über den beschämenden Abgang der DDR war für den bereits in den Ruhestand Getretenen - wie man so sagt - die Enttäuschung darüber, dass so viele Kollegen und Schüler (auch sein ältester Sohn Tom) von den neuen Herren in Arroganz abgewickelt worden sind. Es dürfte ihm etwas Genugtuung bereitet haben, dass nicht wenige (ebenso Tom R.) Anerkennung und Anstellung im Ausland fanden. Mitja Rapoport gehörte zu jenen, die 1992 beschlossen, sich nicht wie hypnotisierte Kaninchen zu verhalten, sondern die Gelehrtengesellschaft der AdW als Leibniz-Sozietät fortzuführen; er war bis zuletzt Ehrenpräsident. Seine vielen Exile hat Mitja Rapoport einmal »eine große Schule der Kultur« genannt, die seinen Horizont geweitet habe. Und er sagte: »Wie schön ist es, dass die Menschheit so viele verschiedene Blüten der Kultur trägt. Und wenn sie einem auch nicht alle gleich schmecken und angenehm sind. Man sollte sich bemühen und überall das Gemeinsame im Menschen suchen.« Wir sollte...

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